Vogelzug und Klimawandel: Wenn das Timing nicht mehr stimmt – Was ist ein phänologischer Mismatch?
Die Klimakrise kann ganz unterschiedliche Auswirkungen auf Vögel haben. Ein wichtiger Aspekt, der in diesem Zusammenhang immer wieder genannt wird, ist die „Mismatch-Hypothese“. Hier passt das Timing nicht und das kann ernsthafte Konsequenzen haben. Bevor es in die Details geht, ist es aber notwendig, einen Schritt zurückzutreten und sich anzuschauen, in welchem zeitlichen Rhythmus biologische Vorgänge ablaufen. Kurzfristige Tag-Nacht-Rhythmen bleiben an dieser Stelle unberücksichtigt, Lichtverschmutzung und singende Rotkehlchen unter Straßenlaternen sind ein eigenes Thema. Längerfristige Rhythmen bestimmen dagegen den Jahreslauf von Vögeln: das Brutverhalten, den Heim- und Wegzug oder die Mauser. Vögel haben eine innere Uhr. Untersuchungen zeigen, dass diese nicht ganz mit der tatsächlichen Jahresrhythmik übereinstimmt (ein inneres Vogeljahr ist in Laborexperimenten kürzer als 12 Monate) und zusätzlich gibt es externe Zeitgeber. Diese können insbesondere die Tageslänge, aber auch Faktoren wie Temperatur und Niederschlag (und eventuell auch die Nahrungsverfügbarkeit) sein.
Phänologische Mismatches
Bei Zugvögeln kommt vielfach der Tageslänge als externer Zeitgeber eine herausragende Rolle zu. Bei gleichwarmen Tieren weíe Vögeln ist die Temperatur weniger wichtig, als dies bei wechselwarmen Organismen der Fall ist – grundlegende physiologische Vorgänge sind bei letzteren temperaturabhängig. In einem als Folge des Klimawandels wärmeren Frühjahr wachsen die Pflanzen schneller. Auch sich von Pflanzen ernährende Raupen erreichen früher im Jahr ihr Maximum an Biomasse. Zumindest in Landökosystemen reagieren also insbesondere Pflanzen, aber auch Wirbellose schneller auf sich ändernde Bedingungen als Wirbeltiere, die vergleichsweise träge reagieren dürften. Daraus können phänologische Mismatches resultieren, die sich vielleicht am besten als zeitliche Diskrepanzen oder Missverhältnisse übersetzen lassen. Selbst ohne den Klimawandel ist es für Vögel eine große Herausforderung, jedes Jahr die Zeit der Jungenfütterung mit dem Höhepunkt der Nahrungsverfügbarkeit in Übereinstimmung zu bringen. Für insektenfressende Vögel wie Meisen sind Raupen von Faltern die Hauptnahrung für ihre Jungen. Die Raupen ernähren sich von frischem Blattgrün und haben eine schnelle Entwicklungszeit, so dass der Zeitraum mit ausreichendem Nahrungsangebot sehr kurz ist. In der Klimakrise liegt dieser Zeitraum immer früher im Jahr. Viele Vögel haben ihre Ankunftszeit im Brutgebiet in den letzten Jahrzehnten deutlich nach vorne verlegt und damit einhergehend ist auch der Legebeginn vielfach früher. Diese Verfrühung ist aber oft nicht so stark wie der ihrer Nahrung und es kommt zu einem trophischen Mismatch. Hinweise darauf, dass dies auch tatsächlich zu großräumigen Bestandsrückgängen der betroffenen Vögel geführt hat, lassen sich bisher aber wohl nicht eindeutig belegen. Unterschiede gibt es zwischen den Arten und auch zwischen den Populationen einzelner Arten. Insgesamt wird angenommen, dass Langstreckenzieher, bei denen die endogene (d.h. letztlich wohl vor allem genetische) Steuerung des Vogelzugs eine größere Rolle spielt, stärker betroffen sein sollten als Kurzstreckenzieher. Tatsächlich zeigen Langstreckenzieher auch oft stärkere Bestandsrückgänge als Standvögel oder Kurzstreckenzieher. Die kausale Verknüpfung zwischen Populationstrends und zeitlichen Diskrepanzen ist aber nicht leicht zu zeigen. Können Vögel ihr Brutverhalten ausreichend nach vorne verlagern, profitieren sie womöglich sogar von den klimatischen Veränderungen. Bei einzelnen Trauerschnäpperpopulationen hat man z.B. mittlerweile früher nicht bekannte Zweitbruten nachgewiesen. Bisherige Untersuchungen deuten übrigens darauf hin, dass die Verfrühung der Ankunftstermine der Zugvögel auf phänotypische Plastizität (ein hoher Einfluss von Umwelteinflüssen, während angeborenes Verhalten weniger wichtig ist) zurückzuführen ist. Evolutionäre Prozesse wir Mutation und Selektion sind zwar nicht auszuschließen, in den meisten Fällen aber nur schwierig nachzuweisen. Dass angeborene Effekte dennoch beim Vogelzug eine gewichtige Rolle spielen, steht allerdings außer Frage.
Neben einer Verschiebung der Nahrungsverfügbarkeit kann durch den Klimawandel auch die Qualität der Nahrung leiden. Dies wird z.B. für Eiderenten diskutiert, deren Nahrung – Miesmuscheln – durch den Klimawandel einen geringeren Nährwert haben – ein energetischer Mismatch. Die Klimakrise schlägt zudem nicht überall entlang des Zugweges in gleichem Maße zu – manche Gebiete erwärmen sich stärker als andere und entlang des Heimzugs sind dementsprechend raum-zeitliche Mismatches beobachtet worden, z.B. bei Gänsen, die entweder quasi zu früh oder zu spät in ihren Zwischenrast- bzw. Brutgebieten ankommen.
Zeitlicher Mismatch zwischen Kuckucken und ihren Wirten
Quellen (Auswahl)
Bairlein F 2022. Das große Buch vom Vogelzug. Aula-Verlag, Wiebelsheim.
Davies JG, Kirkland M, Miller MGR, Pearce-Higgins JW, Atkinson PW & Hewson CM 2023. Spring arrival of the common cuckoo at breeding grounds is strongly determined by environmental conditions in tropical Africa. Proc. Royal Soc. Lond. B. doi: 10.1098/rsbl.2009.0312.
Robertson E.P., La Sorte FA, Mayse JD, Taillie PJ, Robinson OJ, Ansley RJ, O’Connell TJ, Davis CA & Loss SR 2024. Decoupling of bird migration from the changing phenology of spring green-up. Proc. Natl. Acad. Sci. doi: 10.1073/pnas.2308433121.
Saino et al 2009. Climate change effects on migration phenology may mismatch brood parasitic cuckoos and their hosts Biol. Lett. doi: 10.1098/rsbl.2009.0312.
Visser & Gienap 2019. Evolutionary and demographic consequences of phenological mismatches. Nat Ecol. Evol. doi: 10.1038/s41559-019-0880-8.
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