Vogelzug und Klimawandel: Wenn das Timing nicht mehr stimmt – Was ist ein phänologischer Mismatch?

Trauerschnäpper
Trauerschnäpper gelten als Beispiel für von Mismatches betroffenen Vogelarten
(© Hans Glader)

Die Klimakrise kann ganz unterschiedliche Auswirkungen auf Vögel haben. Ein wichtiger Aspekt, der in diesem Zusammenhang immer wieder genannt wird, ist die „Mismatch-Hypothese“. Hier passt das Timing nicht und das kann ernsthafte Konsequenzen haben. Bevor es in die Details geht, ist es aber notwendig, einen Schritt zurückzutreten und sich anzuschauen, in welchem zeitlichen Rhythmus biologische Vorgänge ablaufen. Kurzfristige Tag-Nacht-Rhythmen bleiben an dieser Stelle unberücksichtigt, Lichtverschmutzung und singende Rotkehlchen unter Straßenlaternen sind ein eigenes Thema. Längerfristige Rhythmen bestimmen dagegen den Jahreslauf von Vögeln: das Brutverhalten, den Heim- und Wegzug oder die Mauser. Vögel haben eine innere Uhr. Untersuchungen zeigen, dass diese nicht ganz mit der tatsächlichen Jahresrhythmik übereinstimmt (ein inneres Vogeljahr ist in Laborexperimenten kürzer als 12 Monate) und zusätzlich gibt es externe Zeitgeber. Diese können insbesondere die Tageslänge, aber auch Faktoren wie Temperatur und Niederschlag (und eventuell auch die Nahrungsverfügbarkeit) sein.

Phänologische Mismatches
Bei Zugvögeln kommt vielfach der Tageslänge als externer Zeitgeber eine herausragende Rolle zu. Bei gleichwarmen Tieren weíe Vögeln ist die Temperatur weniger wichtig, als dies bei wechselwarmen Organismen der Fall ist – grundlegende physiologische Vorgänge sind bei letzteren temperaturabhängig. In einem als Folge des Klimawandels wärmeren Frühjahr wachsen die Pflanzen schneller. Auch sich von Pflanzen ernährende Raupen erreichen früher im Jahr ihr Maximum an Biomasse. Zumindest in Landökosystemen reagieren also insbesondere Pflanzen, aber auch Wirbellose schneller auf sich ändernde Bedingungen als Wirbeltiere, die vergleichsweise träge reagieren dürften. Daraus können phänologische Mismatches resultieren, die sich vielleicht am besten als zeitliche Diskrepanzen oder Missverhältnisse übersetzen lassen. Selbst ohne den Klimawandel ist es für Vögel eine große Herausforderung, jedes Jahr die Zeit der Jungenfütterung mit dem Höhepunkt der Nahrungsverfügbarkeit in Übereinstimmung zu bringen. Für insektenfressende Vögel wie Meisen sind Raupen von Faltern die Hauptnahrung für ihre Jungen. Die Raupen ernähren sich von frischem Blattgrün und haben eine schnelle Entwicklungszeit, so dass der Zeitraum mit ausreichendem Nahrungsangebot sehr kurz ist. In der Klimakrise liegt dieser Zeitraum immer früher im Jahr. Viele Vögel haben ihre Ankunftszeit im Brutgebiet in den letzten Jahrzehnten deutlich nach vorne verlegt und damit einhergehend ist auch der Legebeginn vielfach früher. Diese Verfrühung ist aber oft nicht so stark wie der ihrer Nahrung und es kommt zu einem trophischen Mismatch. Hinweise darauf, dass dies auch tatsächlich zu großräumigen Bestandsrückgängen der betroffenen Vögel geführt hat, lassen sich bisher aber wohl nicht eindeutig belegen. Unterschiede gibt es zwischen den Arten und auch zwischen den Populationen einzelner Arten. Insgesamt wird angenommen, dass Langstreckenzieher, bei denen die endogene (d.h. letztlich wohl vor allem genetische) Steuerung des Vogelzugs eine größere Rolle spielt, stärker betroffen sein sollten als Kurzstreckenzieher. Tatsächlich zeigen Langstreckenzieher auch oft stärkere Bestandsrückgänge als Standvögel oder Kurzstreckenzieher. Die kausale Verknüpfung zwischen Populationstrends und zeitlichen Diskrepanzen ist aber nicht leicht zu zeigen. Können Vögel ihr Brutverhalten ausreichend nach vorne verlagern, profitieren sie womöglich sogar von den klimatischen Veränderungen. Bei einzelnen Trauerschnäpperpopulationen hat man z.B. mittlerweile früher nicht bekannte Zweitbruten nachgewiesen. Bisherige Untersuchungen deuten übrigens darauf hin, dass die Verfrühung der Ankunftstermine der Zugvögel auf phänotypische Plastizität (ein hoher Einfluss von Umwelteinflüssen, während angeborenes Verhalten weniger wichtig ist) zurückzuführen ist. Evolutionäre Prozesse wir Mutation und Selektion sind zwar nicht auszuschließen, in den meisten Fällen aber nur schwierig nachzuweisen. Dass angeborene Effekte dennoch beim Vogelzug eine gewichtige Rolle spielen, steht allerdings außer Frage.

Neben einer Verschiebung der Nahrungsverfügbarkeit kann durch den Klimawandel auch die Qualität der Nahrung leiden. Dies wird z.B. für Eiderenten diskutiert, deren Nahrung – Miesmuscheln – durch den Klimawandel einen geringeren Nährwert haben – ein energetischer Mismatch. Die Klimakrise schlägt zudem nicht überall entlang des Zugweges in gleichem Maße zu – manche Gebiete erwärmen sich stärker als andere und entlang des Heimzugs sind dementsprechend raum-zeitliche Mismatches beobachtet worden, z.B. bei Gänsen, die entweder quasi zu früh oder zu spät in ihren Zwischenrast- bzw. Brutgebieten ankommen.

Zeitlicher Mismatch zwischen Kuckucken und ihren Wirten

Kuckuck
Mismatches könnten zum Bestandsrückgang des Kuckucks beitragen (© Darius Stiels)
Einen gewissen Sonderfall biotischer Interaktion findet sich bei Kuckucken. Als Langstreckenzieher haben zwar auch sie ihre Ankunft verfrüht, aber viel weniger stark als Kurzstreckenzieher. Wie oben erwähnt, könnte dies mit der stärker endogenen Rolle beim Timing des Zuges zusammenhängen. Neueste Forschung zeigt aber eher, dass die Ankunft von den Bedingungen in einem Zwischenrastgebiet in Westafrika südlich der Sahara abhängt: Regenfällie im März/April bedeuten dort Insektennahrung für die Vögel, die offensichtlich notwendig ist, bevor die Vögel ihre viele Tausend Kilometer lange Reise in die westeuropäischen Brutgebiete antreten könnnen. Wenn Kuckucke in ihren Brutgebieten ankommen, ist das Brutgeschäft einiger Wirte mittlerweile schon so weit fortgeschritten, dass die Kuckucke keine geeigneten Nester mehr vorfinden, die sie parasitieren könnten. Kuckucke müssen ihre Eier zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Frühphase der Brutzeit ihrer Wirte ins fremde Nest legen, damit der „Betrug“ erfolgreich ist. Kuckucke parasitieren aber natürlich auch Langstreckenzieher. Sofern diese ihre Ankunft synchron zu den Kuckucken verfrüht haben, können sie weiter parasitiert werden. Tatsächlich zeigen aktuelle Untersuchungen der anteiligen Wirtsvögel in vielen Gebieten einen höheren Anteil an Langstreckenziehern als früher. Verkompliziert wird das Parasit-Wirt-System durch das Vorhandensein bestimmter Kuckuckslinien (Weibchen sind auf einen oder wenige Wirte spezialisiert). Zwischen Kuckucken und Wirten gibt es auch ohne Klimawandel ein evolutives Wettrennen, das Kuckucke auch verlieren können, wenn ihre Wirte Strategien gegen den Parasitismus entwickeln, die Kuckucke nicht ausgleichen können. Kuckucke sind darüber hinaus anderen Gefahren ausgesetzt – ihre Nahrung, behaarte Raupen, wird seltener und Lebensraumveränderungen, Bejagung und andere Faktoren in Brut-, Winter- und insbesondere Rastgebieten spielen ebenfalls eine Rolle. So haben sich später auf den Wegzug machende Vögel eine geringere Überlebenswahrscheinlichkeit als früher abfliegende Vögel. Es ist also zwar durchaus plausibel anzunehmen, dass die Klimakrise zum vielerorts beobachteten Bestandsrückgang des Kuckucks deutlich beiträgt, aber für andere Faktoren gibt es ebenfalls gute Hinweise. Dass sowohl die Klimakrise als auch die Zerstörung der Lebensräume bekämpft und möglichst umgekehrt werden müssen, steht dabei eh außer Frage.

 

Quellen (Auswahl)

Bairlein F 2022. Das große Buch vom Vogelzug. Aula-Verlag, Wiebelsheim.

Davies JG, Kirkland M, Miller MGR, Pearce-Higgins JW, Atkinson PW & Hewson CM 2023. Spring arrival of the common cuckoo at breeding grounds is strongly determined by environmental conditions in tropical Africa. Proc. Royal Soc. Lond. B. doi: 10.1098/rsbl.2009.0312.

Saino et al 2009. Climate change effects on migration phenology may mismatch brood parasitic cuckoos and their hosts Biol. Lett. doi: 10.1098/rsbl.2009.0312.

Visser & Gienap 2019. Evolutionary and demographic consequences of phenological mismatches. Nat Ecol. Evol. doi: 10.1038/s41559-019-0880-8.

 

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