Glänzende Gegenstände und diebische Elstern?
Im Jahr 1815 fand in Paris die Uraufführung der Oper „La gazza ladra“ („Die Diebische Elster“) von Gioachino Rossini statt. Allerspätestens seit dieser Zeit wissen es alle, Elstern werden von glänzenden oder glitzernden Gegenständen angelockt, aber stimmt das wirklich? Sind Elstern wirklich diebisch?
Die allgemeine Annahme, dass Elstern glänzende Gegenstände sammeln und „stehlen“ würden, ist in der europäischen Kultur weit verbreitet, wird im Fernsehen wiederholt und Menschen, die kleine Gegenstände sammeln, werden im Englischen manchmal als Elstern („Magpies“) bezeichnet. Begrifflichkeiten wie „Stehlen“ sind moralisch aufgeladen und sicher nicht direkt auf Vögel übertragbar. Wichtiger ist aber vielleicht, dass es bis vor einigen Jahren kaum wissenschaftliche Untersuchungen dazu gab, ob Elstern von glänzenden Gegenständen angezogen werden. Es gab wenige veröffentlichte anekdotische Hinweise darauf, dass Elstern glänzende Gegenstände genommen haben, aber dann stellt sich die Frage, ob uns das nur deshalb auffällt, weil wir ja zu wissen glauben, dass Elstern glänzende Gegenstände nehmen. Gibt es denn überhaupt Hinweise dafür, dass Vögel menschliche Gegenstände sammeln? Ja, die gibt es, so dass die Überlegung zumindest nicht ganz aus der Luft gegriffen ist. Von Krähenvögeln, zu denen auch Elstern gehören, ist durchaus exploratives Verhalten bekannt. Außerdem nutzen viele Vogelarten menschliche Gegenstände beispielsweise als Nistmaterial – das könnte zufällig geschehen und ist es sicher in vielen Fällen auch – oft übrigens mit unmittelbar negativen Auswirkungen für die Vögel. Die meisten haben vermutlich schon mal Fotos von in Fischernetzen verhedderten jungen Basstölpeln gesehen. Aber es kann auch komplizierter sein: So bauen nordamerikanische Hausgimpel Zigarettenstummel in Nester ein. Das Nikotin wirkt antiparasitär, ist aber natürlich auch ein Zellgift, das für die Vögel selbst gefährlich sein könnte. Schwarzmilane bauen außerdem oft Zivilisationsmüll in ihre Nester ein – offensichtlich ein Dominanzsignal an Artgenossen. In der Verhaltensbiologie ist damit das Nest ein Teil des erweiterten Phänotyps (der Phänotyp ist die Summe der morphologischen, physiologischen und verhaltensbezogenen Merkmale eines Individuums). Aus TV-Produktionen am bekanntesten sind vielleicht australische Seidenlaubenvögel, die mit blauen Gegenständen ihre Lauben ausschmücken.
Die Frage aber, ob Elstern nun wirklich von glänzenden Gegenständen so unwiderstehlich angezogen werden, wurde bisher am umfassendsten erst in einer 2015 in der Fachzeitschrift Animal Cognition veröffentlichten Studie untersucht. Die Verhaltensbiologin Dr. Toni Shephard und ihre Kolleg:Innen von der Universität Exeter haben sich dazu Experimente mit Elstern im Freiland und in Gefangenschaft ausgedacht.
In beiden Versuchsaufbauten bekamen die Vögel Futter und waren natürlich in gewissem Maß an Menschen gewöhnt. Die Freilandstudie fand auf dem Universitätscampus statt. Zum Einsatz kamen Futterschüsseln – welche, an die die Vögel gewöhnt waren und neue, aber auch Schrauben und Alufolie. Sowohl glänzende als auch farbige (blaue) Objekte kamen zum Einsatz. Untersucht wurde, wieviel Futter genommen wurde und wie lange es dauerte, bis sich die Vögel näherten, wenn entsprechende Objekte in der Nähe waren (bzw. Futterschüsseln ausgetauscht wurden). Damit kann untersucht werden, wie „neophob“ sich die Vögel verhalten und damit die Ausgangsfrage untersucht werden. Neophobie ist die (wörtlich übersetzt) Angst vor allem Neuen und ein Forschungsthema in der Verhaltensbiologie, das gerade auch an Krähenvögeln untersucht wird. Die Ergebnisse zeigen sehr deutlich, dass Elstern alles andere als „diebisch“ sind. Lediglich in zwei von 64 Tests stellten Elstern überhaupt Kontakt mit den glänzenden Objekten her. In beiden Fällen wurde ein glänzender Ring hochgehoben und sofort wieder fallen gelassen. Tatsächlich kommen die Forschenden zu dem Schluss, dass Elstern die Objekte entweder ignorierten oder, bei Vögeln im Freiland, diese sogar eher aktiv mieden und die Gegenstände Neophobie hervorriefen. Der weitverbreitete Glaube, dass Elstern von glänzenden und glitzernden Gegenständen angezogen werden, dürfte also auf fälschliche und in unserer Kultur letztlich verankerte Verallgemeinerungen von Anekdoten zurückzuführen sein. Wahrscheinlich sagt das letztlich auch etwas darüber aus, wie wir als Menschen Tiere und ihren Einfluss auf die Umgebung wahrnehmen.
Quellen
Shephard et al. 2015 (Elsterstudie)
Suárez-Rodríguez & Garcia 2014 (Hausgimpel und Zigarettenstummel)
Wojcieszek et al. 2007 (Seidenlaubenvogel)
BBC Earth (Video Seidenlaubenvogel)
Sergio et al 2011 (Schwarzmilane)
Schaedelin & Taborsky 2009 (erweiterter Phänotyp)
Miller et al. 2022 (Neophobie bei Krähen)
Mannheimer Philharmoniker (Ouvertüre La Gazza Ladra
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