Was ist Zugstau?

Flussuferläufer und viele andere rasten bei Zugstau (© Hans Glader)

Vor allem im Frühjahr und Herbst ist in und über NRW das Zuggeschehen in vollem Gange. Viele Vögel überfliegen das Land sehr hoch, einige nachts, während andere rasten – einer der Gründe, weshalb wertvolle Lebensräume nicht nur für Vögel zwischen Rhein und Weser wichtig sind, sondern in letzter Konsequenz Teil eines weltumspannenden Netzes sind. Der Vogelzug wird in der Regel endogen gesteuert (genetisch und hormonell). Langstreckenzieher, die den Winter südlich der Sahara verbracht haben, haben aber eh keine Möglichkeiten, die Wetterbedingungen in Mittel- und Nordeuropa bei der erwarteten Ankunft abzuschätzen. Dennoch geht es natürlich mit Rückenwind aus Südwesten schneller von der Iberischen Halbinsel in den Nordosten Europas. Dreht dann der Wind auf Nordost, kommt gar Regen oder Schnee dazu, werden viele Vögel zum Rasten gezwungen. Während des Schreibens dieses Textes (Anfang April 2021) liegt draußen vor der NWO-Geschäftsstelle eine dünne Schneedecke. Am Rhein sind große Schwalbenschwärme, die über dem wärmeren Rheinwasser nach Insekten jagen und verschiedene Stelzen und Limikolen rasten am Ufer. Es kann sogar vorkommen, dass einige Vögel umkehren und im Frühjahr kurzzeitig wieder nach Süden ziehen. Es kommt zum sogenannten Umkehrzug. Wenn in Kürze das Wetter milder wird und der starke Nordwind nachlässt, werden die Vögel aber in ihre nordischen Brutgebiete weiterziehen.

Auch im Herbst lässt sich das Phänomen des Zugstaus beobachten. Bei anhaltendem Wind aus südlicher Richtung verbleiben die Vögel länger in ihren Rastgebieten. In geeigneten Lebensräumen sieht man große Zahlen an Kleinvögeln wie Braunkehlchen, Steinschmätzer und Schafstelzen – dreht der Wind, können über Nacht alle Vögel abgezogen sein. Auch Kraniche verlassen auf dem Wegzug ihre Rastgebiete im Nordosten bei einsetzenden Kälteperioden bzw. kommen auf dem Heimzug mit milden Südwestwinden in den ersten Frühlingstagen. Kommt es dann auf dem Weg zu plötzlichen Wetterumschwüngen, z.B. dichtem Nebel oder Regen, müssen die Vögel teilweise landen und auch in NRW können dann rastende Kranichtrupps auftauchen. Zugstau ist also nicht ungewöhnlich. Es ist aber denkbar, dass durch zunehmende Wetterextreme infolge des Klimawandels dieses Phänomen häufiger zu beobachten sein wird. Für die betroffenen Vögel können die Folgen problematisch sein. Ein sich verzögernder Heimzug kann sich auf die ganze Brutsaison auswirken. Auch die Mortalität kann deutlich erhöht sein. Oft rasten die Vögel bei einer extremen Zugstausituation in ungewöhnlichen Lebensräumen und finden nicht genügend Nahrung, frieren oder werden leichter Opfer von Prädatoren. Für Vogelbeobachter*innen ergeben sich bei Zugstausituationen gleichzeitig aber auch oft ungewöhnliche Beobachtungsmöglichkeiten und die Chance, dieses Phänomen besonders gut zu dokumentieren (z.B. durch Meldungen auf ornitho.de).

 

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